Ärzte in der Familie

Archiv der unveröffentlichten Texte am 23.7. 2021, 19 h in Groß Heide

Gastwirtschaft Elfriede und Sabine Schulz, Heider Chaussee 12.

 Ärzte in der Familie

In Zeiten der Pandemie hätte manche*r gern fachkundigen Rat aus der Familie erhalten. Wie aber gehen Ärzte selbst mit diesen Erwartungen um?  Wie gestaltete sich ihr Leben? Waren sie immer die sog. Götter in Weiß, deren Wort widerspruchslos befolgt wurde? Und folgen ihre Nachkommen ihnen im Beruf?

Prof. Dr. Ernst Kraas aus Soven und Berlin ist Neurologe. Schon sein Großvater war Arzt.

Beim Aufräumen des Nachlasses seiner Mutter fiel ihm ein Pappkarton in die Hände, der 345 Briefe seines Großvaters Victor an dessen Verlobte und spätere Frau Wanda beinhaltete. Aus diesen Briefen wird Ernst Kraas, der Enkel, vorlesen. Er nennt seinen Beitrag "Chirurgie in unterschiedlichen Zeiten."

Über 90 Prozent der Briefe von Victor Kraas sind aus den Jahren 1901bis1903, als die beiden verlobt waren. Victor war damals Assistent an der chirurgischen Universitätsklinik Bonn. Wanda lebte noch im Haus ihrer Pflege-Eltern am Lützowplatz in Berlin. Quasi im Treppenhaus muss es zwischen dem Studenten Victor und der Schülerin Wanda damals ganz heftig geblitzt haben, und diese erste Liebe ließ die beiden bis zum Ende ihres Lebens nicht mehr los.

Ernst Kraas schrieb dazu:  "Aber, bei aller Gleichheit des Chirurgen-Lebens vom Großvater (Jahrgang 1874) und dem Enkel Ernst Kraas (Jahrgang 1941), die Zeiten machen den Unterschied: Victor, aufgewachsen in der Kaiser-Zeit, musste als Assistent noch im Krankenhaus wohnen und damit über zehn Jahre warten, bis er seine Wanda heiraten konnte. Ich war als Assistent schon mit der Studentin Susanne verheiratet. Victor war beratender Chirurg in zwei Weltkriegen, ich konnte mein ganzes Berufsleben ohne Kriegserfahrungen in Mittel-Europa verbringen."

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Der Doktor muss sein. Das sagte ihre Mutter und das galt auch für Irmgard Born. Dr. Irmgard Born. Sie war in Dannenberg und Berlin Kinderärztin. Auch ihre 1909 geborene Mutter war Medizinerin. Und das hieß damals etwas. Sie war die einzige Studentin in ihrem Semester, musste stets besser sein als die Mitstudenten. Dabei aber während des Fachs Haut- und Geschlechtskrankheiten den Saal verlassen. Falls jemand die Serie Charité gesehen hat - darin gibt es ähnliche Szenen. In Riesenburg absolvierte Irmgards Mutter ihre Medizinalzeit, lernte dort den Amtsarzt kennen und lieben. Als der von Partisanen ermordet wurde, führte die Mutter die Landpraxis weiter. Irmgard Born hat für das Archiv der unveröffentlichten Texte schon einmal aus einem Brief der Mutter über den Tod ihres Vaters gelesen. Nach der Flucht führte die Mutter eine Praxis in Rengsdorf bei Neuwied am Rhein. Die Mutter hat die Familie über ihr 80. Lebensjahr hinaus ernährt. Und natürlich hat Irmgard Born das ebenfalls getan.

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Nach dem 2. Weltkrieg spielt auch die Arztgeschichte, die uns Dr. Sigrun Müller-Hagen vorlesen wird.  Sigrun Müller-Hagen ist Onkologin und Palliativmedizinerin in einer großen Gemeinschaftspraxis in Hamburg-Schnelsen. Ihre zweite Heimat ist seit mehr als zehn Jahren Gümse.

Über den Großvater, den 1883 geborenen Rudolf Müller-Hagen und seine Ehefrau, eine Edle von der Planitz, wurde in der Familie zwar gesprochen, aber erst nach dem Tod ihres Vaters vor einem Jahr und dem Auffinden eines Briefkonvoluts auf dem Dachboden des elterlichen Hauses, wurde die Großvater-Persönlichkeit deutlich.

Er war Arzt und leitete vor und im 2. Weltkrieg eine kleine Klinik im schlesischen Neusalz. Sigrun Müller-Hagen wird aus Briefen und Tagebuchnotizen lesen, die sich auf die Flucht beziehen und das spätere Ankommen des Großvaters im anhaltinischen Köthen.

Es sind die kleinen Dinge des Alltags, die in der Sorge um die eigene Gesundheit bestehen, der Freude über einen Plaudernachmittag mit Bekannten, dem Stolz über die Beschaffung von Bohnenkaffee, die zählen. Vor dem Hintergrund der Weltkatastrophe nehmen sie sich merkwürdig banal aus, sind aber wohl die zweite Seite der Wirklichkeit.

Sigrun Müller-Hagen schaut auch ironisch auf die Vergangenheit. Einem Vorfahren, der vor der Beförderung zum General stand, schien der Name „Müller“ unangemessen. Durch Adoption entstand dann der Doppelname.

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Diese und ähnliche Geschichten werden erzählt, gelesen und diskutiert im „Archiv der unveröffentlichten Texte“.  

Kommt und hört. Diskutiert mit uns die Geschichten aus den eigenen Familien. Es freuen sich auf Sie/Euch die Mitglieder des „Archivs der unveröffentlichten Texte“: Antje Busse, Monika Eckoldt, Nina El Karsheh, Dr. Sibylle Plogstedt, alle aus Groß Heide. Mit Unterstützung von Dr. Cora Titz.

Gerade suchen wir plattdeutsche Texte und richtig alte Poesiealben.

Wer dem 'Archiv der unveröffentlichten Texte' eigene Arbeiten überlassen oder uns an den geschriebenen, aber nicht gehobenen Schätzen aus dem Familienbesitz, verfasst von früheren Generationen, teilhaben lassen will, wende sich an:

Dr. Sibylle Plogstedt, Heider Chaussee 7, 29451 Dannenberg. Tel: 05861- 9867575,
Mail: info@archiv-der-unveroeffentlichten-texte.de

Wir bitten auch diesmal um das Mitbringen von Masken, Impfpässe und Testbescheinigungen.

 

Wann?

23.Juli 2021 | 19:00 Uhr

Wo?

Groß Heide, Gastwirtschaft Schulz, Heider Chaussee 12