Bis Weihnachten war gar nichts vorbei. Leben und Sterben im I. Weltkrieg und danach.

Familie der Großeltern von Uwe Neumann

 

Für August haben wir uns die Lebensbedingungen im I. Weltkrieg vorgenommen. Also Alltag zu Hause, in der Schule, an der Front, im Lazarett, in der Kriegsgefangenschaft. Finden wir da schon Zeichen, die auf die drohende Pandemie der Spanischen Grippe hindeuten?

Susanne Götting-Nilius, Stadtarchivarin von Dannenberg, hat sich die alten Schulchroniken des Landkreises zum Steckenpferd gemacht. Von einem oder mehreren Lehrern verfasst, findet sich darin alles über den Schulunterricht, Schulkinder, Feste und Feiern, das Schulgebäude, Lehrer und Lehrerinnen, Schulort, Geschichte der Schule.

Die Darstellung des Kriegsausbruch wird je nach Gemüt des Chronisten sehr unterschiedlich dargestellt, wie wir hören werden. Ein Beispiel:

Splietau: 31. Juli 1914: "In dichten Truppen standen die verstörten Menschen auf den Straßen und besprachen die Ereignisse. Besonders sorgenschwer waren diejenigen, die einen Angehörigen bei der aktiven Truppe hatten, oder ein liebes Familienmitglied in den allernächsten Tagen ins Feld senden mussten."

Eingezogen wurden Schüler offenbar nicht, meint Susanne Götting-Nilius. Kinder und Jugendliche wurden aber in die Arbeit in den Dörfern einbezogen. Junge Männer folgen dagegen sehr bald nach der 1. Mobilmachung. Sammlungen für die Soldaten, Rationierung von Lebensmitteln folgen und schließlich im Sommer 1918 gibt es die Spanischen Grippe. Bei allem Leid heißt es zum Kriegsende: "'Friede, das war der Trost..."

Uwe Neumann (Künsche), in Berlin Landschaftsarchitekt, liest aus der Korrespondenz seiner Großeltern. Der Großvater war in Konstantinopel stationiert, war lange in einem Lazarett, während seine Frau zu Hause ihr 5. Kind bekam. Die Briefe sind nummeriert, damit nur ja keiner verloren geht. Er schreibt über die Versorgung, das lange Warten im Lazarett und über die Schwierigkeit, Heimaturlaub zu bekommen

Eine Verwandte Neumanns, die in die USA ausgewandert ist, sieht von außen auf das Kriegsgeschehen zwischen ihrer alten Heimat und den USA. Ihr Herz schlägt nach wie vor für Deutschland und gegen seine Feinde. Von Heimat und Heimweh ist immer wieder die Rede.

45 Postkarten aus dem ersten Weltkrieg besitzt Ulrich Schröder vom Blauen Haus in Clenze. Sie gingen zwischen Schröders Großvater Heinrich und seiner Frau Sophie hin und her. Hier geht es um die Front zu Belgien. Markige Worte eines Freundes von Großvater Schröder stehen da.

„Die Herzen zu Gott, die Faust auf den Feind,
wo dieser Geist stets wird walten,
da bleibt der alte Gott bei uns,
da bleiben wir Deutschen die Alten.“

Schröder dient als Bursche eines Rittmeisters und wird mit ihm nach Belgien verlegt. „Schon wieder ein neues Quartier. Wir mussten ins Schloss ziehen. Die Herrschaft ist weggelaufen.“

Martialisch die Sprache des Großvaters selbst: „Hurrah, schon wieder Sieg. Und das 15. Korp stark beteiligt. Das beweist, dass unsere Truppe gegen die vom Wasser eingedrungenen Engländer, Turkos und anderes Gesindel siegreich vorgehen Hoffentlich haben sie bald ihren Teil!“ (Französische Kolonialtruppen aus Nordafrika) Ähnlich klingt es auch in Bezug auf die Ostfront:

„Die Russen haben ja wieder mal kolossal Kloppe gekriegt.“ Nur ein leiser Zweifel, ob das wohl so bleibt, schwingt mit.

Russische Kriegsgefangenschaft im I. Weltkrieg ist das Thema von Christa Fenge-Huber, Therapeutin in Vasenthien. Sie ist im Besitz des Kriegstagebuchs ihres Großvaters Otto Köhn im zaristischen Russland bis zur beginnenden russischen Revolution. Gezeichnet von viereinhalb Jahren Kriegsgefangenschaft von 1916 bis 1921, eine Zeit, in der 55 Prozent der Gefangenen durch Hunger, Seuchen, Frost und Erschießen umkamen. Flecktyphus hat er im Winter 1916 erlebt, wo von 17000 Gefangenen 9000 starben. Allein vor der Stadt Nowo Nikolaewsk lagen 55000 Tote.

Alle Bahnen waren von der Seuche infiziert. Der Rücktransport aus Sibirien verzögerte sich, weil entlang der Bahn Aufstände gegen die Revolution erfolgten.

Vor allem die Zeiten nach 1917 fehlen im Tagebuch. Sie muten vernichtet werden, weil der Großvater sich nicht in Gefahr bringen wollte. Er hat sie 18 Jahre später aus dem Gedächtnis neu gefasst. Das war kurz vor Beginn des II. Weltkriegs.

Wer auf den Transporten Geld versteckte, geriet in Lebensgefahr. Zeitweise drohten die Bewacher jeden 5. Gefangenen zu erschießen. Ganze Züge von Gefangenen wurden überfallen und ausgeplündert. Den Erschossenen darf sich niemand nähern. Auch kein Geistlicher. Der Zug ging von Sibirien aus durch die Manschurei. Von Wladiwostok geht es per Schiff zurück nach Deutschland, wo seine Frau Käthe ihren Mann Otto im Hafen sehnsüchtig erwartet.

Die Schwere der Zeit brachte Christa Fenge-Huber den Großvater noch einmal ganz nahe, über den sie von Großmutter und Mutter wenig erfahren hat. Auch dieses Tagebuch wurde ihr nie gezeigt. Sie fand es erst im Nachlass der Eltern.

Unsere Veranstaltung über Kinderbiografien haben wir erst einmal um ein paar Monate verschoben. Wahrscheinlich auf den Spätherbst oder Winter, so Corona es uns erlaubt.

Diese und ähnliche Geschichten werden erzählt, gelesen und diskutiert im „Archiv der unveröffentlichten Texte“. Wie immer in Groß Heide, Heider Chaussee 12, in der Gastwirtschaft von Sabine und Elfriede Schulz, auch diesmal jedoch nur bei schönem Wetter im Hof. Wegen der begrenzten Plätze bitten wir um Anmeldung per Mail und das Mitbringen von Masken. Wir führen eine Reserveliste.

Kommt und hört. Diskutiert mit uns die Geschichten aus den eigenen Familien. Es freuen sich auf Sie/Euch die Mitglieder des „Archivs der unveröffentlichten Texte“: Antje Busse, Monika Eckoldt, Nina El Karsheh, Dr. Sibylle Plogstedt, Dr. Cora Titz, alle aus Groß Heide.

Wer dem Archiv der unveröffentlichten Texte eigene Arbeiten überlassen oder uns an den geschriebenen, aber nicht gehobenen Schätzen aus dem Familienbesitz, verfasst von früheren Generationen, teilhaben lassen will, wende sich an:

Archiv der unveröffentlichten Texte c/o Dr. Sibylle Plogstedt, Heider Chaussee 7, 29451 Dannenberg. Tel: 05861- 9867575, Mail: info@archiv-der-unveroeffentlichten-texte.de

Wann?

21.August 2020 | 19:00 Uhr

Wo?

29451 Gross Heide, Heider Chaussee 12, Gastwirtschaft Schulz