Nach dem Untergang der Wilhelm Gustloff: Reaktionen auf die Schrecken.

„Kommt einer zu mir auf die Pritschen, heult“, schrieb Vater Sittig. „Ihm ist übel. Hat von der billigen Sülze gegessen, die etwas süß schmeckt und so gut satt macht. Ist fast noch ein Kind. Und hätt‘s doch wissen müssen. Wo wir alle wissen, dass auf dem Markt ein Zehnjähriger jetzt mit 180 Rubelnd gehandelt wird. Weint lange, bis er in meinen Armen einschläft.“

Ein bestürzendes Beispiel, eine entsetzliche Realität.  Oder sind es Albträume, die aus dem Trauma entstanden oder Phantasien, die der Kriegsgefangenschaft folgten? Den Sohn Friedemann Sittig (Hamburg, Berlin) hat diese Frage lange umgetrieben. Wie geht er damit um? Er wird uns den Text des Vaters vortragen, möchte mit uns darüber diskutieren. Er weiß: Ihm bleibt nicht erspart, einen Umgang mit dem Erzählten, mit den (Alb)Träumen, den Gedichten zu finden. Mit dem Übergang von Faktischem zu möglicherweise Fiktivem.  Mit der Unerbittlichkeit einer abgrundtiefen Grenzerfahrung. Der faszinierende und beklemmende Text trägt die Überschrift „Sülze“. Der Vater von Friedemann Sittig verlor seine erste Frau samt fünf Kindern beim Untergang der Wilhelm Gustloff.  Ein Ereignis, das sein Leben und das aller überlebenden und nachfolgenden Familienangehörigen gezeichnet hat.

Wie umgehen mit der Vertreibung? Und wie mit den Vertriebenen? Kaum ein Thema hat die Menschen so aufgewühlt wie die Erlebnisse während der Flucht und der Vertreibung am Ende und nach dem 2. Weltkrieg. Kein Wunder, wenn das Archiv der unveröffentlichten Texte auch über den Umgang mit dem Thema Texte bekommen hat.

Für Rosemarie von Georg, die Mutter von Ebi Naumann (Granstedt und Hamburg), beginnt die Flucht in Naumannsfelde/Kreis Posen. Die Verwandten waren schon am Tag zuvor aufgebrochen. Was mitnehmen für das neue Leben? Was wird gebraucht für unterwegs? Gerettet wurde der letzte Cognac, der den Russen auf keinen Fall in die Hände fallen sollte. Die Schwiegermutter packte sogar die Obstteller ein,  vergaß darüber Töpfe und das gewöhnliche Geschirr. Missgunst regierte auf der Flucht. Die Schwiegermutter ist nicht zufrieden, solange sie nicht stets das Beste erwischt. Kein leichtes Miteinander unterwegs.

Ingo Schlüter hat sogar einen Song auf die Flucht seiner Eltern geschriebee. Frau Krause (Dannenberg) hat uns angerufen, damit wir ihn vorspielen.

Emmi Ploehn, Granstedt, kommt als Sudentendeutsche eigentlich aus Außzig.  und sie sind Sudetendeutsche. Ihre Eltern Adolf und Mizzi Krombholz sind auf der Flucht von ihren Kinder Adolf, Emmi und Marthi von Februar 1945 bis Ende 1947 getrennt worden. Was für Ängste, was für eine Hoffnung, ein Bangen und Warten auf den nächsten Brief, bis die Familie sich am Ende endlich wieder fand.

Elisabeth Klingelhöller (Sallahn), die Älteste unter den Geschwistern von Gottberg, erzählt von einer Begebenheit in Gartow in der alten Meierei, auch Holländerei genannt. Klingelhöller hat mit ihrem Mann lange einen Reiterhof betrieben. Auch dort sind Flüchtlinge, darunter Kinder ohne Begleitung, angekommen. Es geht um Tante Püttchen. Die half, wo andere wegschauten, vor allem armen Kindern. Sie wurde ein Beispiel für andere – über ihren Tod hinaus. Ein Vorbild für alle, die, helfen könnten, wenn Fremde ihren Platz in unserer Gesellschaft finden müssen.

Wann?

24.August 2018 | 19:00 Uhr

Wo?

Heider Chaussee 12, Große Heide, Gastwirtschaft Schulz