Kriegsgefangene oder: Der Preis des Überlebens.

Kriegsgefangene oder: Der Preis des Überlebens.

Jahrelang erzählten die alten Männer von ihrer Kriegsgefangenschaft. Jüngere begannen schon längst wegzuhören. Doch in Hitzacker hat Inge Heinemann ihrem Mann Günter immer wieder zugehört, wenn die Bilder seiner russischen Kriegsgefangenschaft in ihm hochstiegen. Er schrieb die Erinnerungen auf, konnte sein Werk aber nicht vollenden. Nach seinem Tod hat Inge Heinemann seine auf Zetteln notierten Erinnerungen zu einem Buch zusammengefügt. Der Titel: ‚Lever dod as Slav – oder der Preis des Überlebens.“

Kriegsgefangenschaft heißt: Der Krieg ist zu Ende, der Kampf ums Überleben aber längst nicht. Eine Zeit höchster Verzweiflung, des Verhungerns aufgrund von Unterernährung folgte.

Der Krieg um die Ukraine holt das Thema neu ins Bewusstsein. Fragen kommen hoch:  Wie war das doch? Wohin wurde der Großvater, Vater oder Ehemann deportiert? Lag das Lager in Russland oder in der Ukraine? Wie kamen die Angehörigen mit Hunger und Schwerstarbeit klar, wie mit Hitze oder Kälte?

Es war aber auch eine Zeit von großer Nähe unter Männern, die nach der Arbeit im Lager sinnvoll mit ihrer Zeit umgehen wollten. Günther Heinemann beschrieb, wie die Gefangenen in sowjetischen Lagern Operetten einstudierten und aufführten. Für die Kostümierung half der Lagerfriseur mit Perücken aus.

Kriegsgefangene haben alle Alliierten gemacht. Die Angehörigen zu Hause waren für Viele der einzige Halt, die einzige Hoffnung auf eine Zukunft. Selbst aus einem Lager in Indien liegen dem Archiv der unveröffentlichten Texte Sehnsuchtsbriefe nach der Liebsten zu Hause vor. Saskia Hollmeier hat uns die Briefe ihres Großvaters zur Verfügung gestellt.

Auch im Mittleren Osten gab es 1945 mehr als 100 000 Kriegsgefangene gab es 1945. In Ägypten wurden sie entlang dem Suezkanal auf LKWs zum britischen Gefangenenlager am Bittersee transportiert. Ein junger Soldat beschrieb: „Ich war 19 Jahre alt, kannte niemanden von denen, die nun mit mir die wenigen Habseligkeiten da hineintrugen. Das Lager Nr. 306 war wiederum aufgeteilt in eine große Zahl von Cages, Käfigen. In einen davon wies man uns ein. In langen Reihen lagen Zelte auf dem Boden. Notdürftig teilten wir sie auf für die erste Nacht. Zehn Mann fasste so ein Zelt. 4 x 4 m², also 1,6 m² für jeden.“

Sklavenarbeit und Hunger waren nicht alles, das auf sie wartete. Die ehemaligen Gefangenen der Briten – aber auch die aus Russland  - berichteten über das kulturelle Angebot, das sie sich selbst verschrieben. Die Umerziehungsprogramme zur Demokratie machten das möglich. Johannes Agnoli, 1968/1969 einer der Vordenker der außerparlamentarischen Opposition und Professor für politische Wissenschaften an der Freien Universität in Westberlin, verfasste damals seine ersten philosophischen Abhandlungen. Hans-Joachim Haecker, ein Schriftsteller, schrieb Gedichte.  Täglich kam der Literaturkreis zusammen, um Hackers poetischen Kampf gegen die Verzweiflung mitzubekommen. Hacker las seinen Mitgefangenen die Gedichte vor:

„Mich hat mein strenger Engel hergeführt
aus meiner Freundschaft und dem Haus der Liebe
aus jedem Wege, den mein Fuß berührt
aus allen Feuern, die ich je geschürt
und frage nicht, ob mir Erinnerung bliebe

Hierher geführt in eng begrenztem Raum
umzäunt, bewacht, verriegelt und verboten
ein Flecken Trauer an der Wüste Saum
und aus dem Sande wächst kein grüner Baum
Doch wenn die Stunde kommt der purpurroten
und goldenen Wolken, die wie Teppich schwer
und reglos an des Abends Himmel stehen
dann fällt des Engels Schatten zu mir her
der Krug in meinen Händen bleibt nicht leer
mit dem die Träume aus dem Brunnen gehen.

Das Essen war knapp, die Brotaufteilung wurde zu einer besonderen Zeremonie. Abnehmen taten alle. Tagsüber bauten sie aus Beton die Terrassen für ein Stadion in der Wüste. Und das bei einer Hitze bis 50 Grad. Erst nachdem alle Soldaten auf ihren NS-Hintergrund überprüft waren, konnte ein Großteil zurück nach Hause. Manche hatten nur noch ihre Entlassungspapiere, der Rest war verloren gegangen. Doch Kontakt untereinander hielten sie viele Jahre.

Um all diese Erfahrungen geht es am 8. 7. 2022 um 19 h in Groß Heide, Heider Chaussee 12 in der Gastwirtschaft Schulz.  Wir freuen uns auf Sie/auf Euch.

****

. Wer dem 'Archiv der unveröffentlichten Texte' Arbeiten aus der eigenen Familie überlassen will, wende sich an:

Dr. Sibylle Plogstedt, Heider Chaussee 7, 29451 Dannenberg. Tel: 05861- 9867575, Mail: info@archiv-der-unveroeffentlichten-texte.de

Kommt und hört. Diskutiert mit uns. Es freuen sich auf Sie/Euch die Mitglieder des „Archivs der unveröffentlichten Texte“: Antje Busse, Monika Eckoldt, Nina El Karsheh, Dr. Sibylle Plogstedt, alle aus Groß Heide. Mit Unterstützung von Dr. Cora Titz

Wer etwas spenden möchte, kann unser Archivschwein füttern. Oder direkt auf das Konto des Archivs überweisen.

Dr. Sibylle Plogstedt, Archiv der unveröffentlichten Texte, Sparkasse Uelzen-Lüchow-Dannenberg

IBAN: DE77 2585 0110 0230 4845 52, BIC: NOLADE21UEL

Wir bitten weiterhin um das Mitbringen von Masken.

Wann?

08.Juli 2022 | 19:00 Uhr

Wo?

Groß Heide, Gastwirtschaft Schulz, Heider Chaussee 12